
Zusammenfassung 5. Dialogue-Abend
Am 3. Dezember fand der letzte Dialogue-Abend im Jahr 2019 statt, lesen Sie hier unsere kurze Zusammenfassung:
Dialogue-Abend vom 3. Dezember «Wenn die Polizei nur die Hautfarbe sieht – Widerstand und Rechtsverfahren bei Racial Profiling» mit Tarek Naguib, Co-Herausgeber und Jana Häberlein, Co-Autorin des Buches «Racial Profiling: Struktureller Rassismus und antirassistischer Widerstand».
Der Verein MULTIMONDO organisiert die Veranstaltungsreihe Dialogue, welche an mehreren Abenden Menschen mit unterschiedlichen Biografien dazu einlädt sozio-politische Themen zu diskutieren und sich auszutauschen. Der fünfte und letzte Dialogue-Abend dieses Jahres fand am 3. Dezember zum Thema Racial Profiling statt. Tarek Naguib und Jana Häberlein setzen sich in verschiedenen Formen mit diesem Thema auseinander. Der Jurist Tarek Naguib forscht und lehrt mit Schwerpunkt Antidiskriminierungsrecht. Er gründete das «Schweizer Netzwerk für Diskriminierungsforschung» sowie das «Institut Neue Schweiz» (INES) mit und engagiert sich in der «Allianz gegen Racial Profiling» und beim «Berner Rassismus-Stammtisch». Jana Häberlein ist Soziologin, lehrt an verschiedenen Schweizer Hochschulen, ist Associated Researcher in einem SNIS-Projekt an der Universität Basel und Co-Präsidentin der Anlaufstelle Sans-Papiers in Basel.
Als Einstieg wurde kurz die Entstehung des Buches geschildert und unsere beiden Gäste berichteten von ihrer Arbeit. Tarek Naguib setzt sich mit Fragen der Ungleichheit auseinander und damit, wie das Recht emanzipatorische Kräfte unterstützen kann. Jana Häberlein erzählte von ihrem Forschungsprojekt «The vitality of borders», in dessen Rahmen sie sich mit dem Vorgehen der Schweizer Grenzwachtkorps bei Grenzkontrollen, insbesondere an der Südgrenze in Chiasso, auseinandergesetzt hat. Ihre teilnehmende Beobachtung führte sie 2016/17 während drei Aufenthalten von insgesamt 18 Tagen durch.
Betont wurde im Verlaufe des Abends u.a., dass es bei Rechtsverfahren gegen Racial Profiling nicht um einzelne Polizist*innen oder um das einzelne Verfahren an sich geht, sondern um die Strukturen, die diese Praxis ermöglichen. Die Rechtsverfahren sollen der Macht der Polizei, die Macht des Rechts entgegensetzen und gleichzeitig die Justiz sensibilisieren. Auffällig sei dabei, dass das Thema Rassismus, wenn nicht explizit angesprochen, vermieden wird und wenn es konkret darum geht, Widerstand auslöst. Für Tarek Naguib sind wir heute an einem Punkt, an dem das Recht keine zuverlässige Alliierte ist, wenn es um Rassismus geht. Wichtig ist ausserdem anzumerken, dass es bei Racial Profiling nicht nur um problematische Kontrollen, sondern auch allgemein um die Organisation von Polizeieinsätzen geht. Zentral dabei ist nicht nur wer kontrolliert werden soll, sondern auch wo und wie viele Polizist*innen jeweils an einem bestimmten Ort eingesetzt werden.
Abschliessend wurde auch diskutiert, was wir als Zivilgesellschaft für Handlungsoptionen haben. Ein wichtiger Aspekt, den die beiden Gäste betont haben, war die Solidarität – mit direkt Betroffenen, aber auch mit Menschen, die sich engagieren. Dies kann von einem kurzen Zunicken beim Beobachten von Racial Profiling, bis zu einem tatsächlichen (verbalen) Eingreifen reichen. Dabei sei es wichtig ruhig und freundlich zu bleiben und zu bedenken, was die direkt Betroffenen brauchen (und diese allenfalls zu fragen, ob sie möchten, dass jemand eingreift). Ausserdem sei es auch wichtig zu wissen, dass das Eingreifen Konsequenzen haben kann. Es kostet einerseits Zeit und kann ggf. zu einer Busse führen. Für Tarek Naguib heisst eingreifen auch, dass er riskiert, dass die betroffene Person nicht immer glücklich darüber ist. Er möchte mit dem Eingreifen aber auch zeigen, dass er nicht gleichgültig ist, auch wenn er selber nicht direkt von Racial Profiling betroffen ist. So ist auch ein Ziel des Buches, die Zivilgesellschaft zum Hinsehen zu bewegen, damit Racial Profiling nicht mehr als «normal» erachtet wird.
Eine weitere Form des Widerstands für direkt Betroffene kann sein, Feststellungsbegehren bei der Polizei einzureichen. Dafür wurde eigens ein vereinfachtes Formular erstellt. Die Idee ist, dass sich die Polizei und Justiz durch die reine Masse an Feststellungsbegehren gezwungen sieht konkrete Schritte zu unternehmen, um gegen Racial Profiling bei der Polizei vorzugehen. Wer nicht so weit gehen möchte, kann den Vorfall auch dem gggfon melden, einem Informations- und Beratungsangebot zu den Themen Rassismus/rassistische Diskriminierung, Gewalt im öffentlichen Raum und Rechtsextremismus. Grundsätzlich ist es wichtig bei Kontrollen nach dem Namen der*s Polizisten*in und dem Grund für die Kontrolle zu fragen und sich Datum, Uhrzeit und Ort zu merken.
Empfehlungen für das Vorgehen beim Erleben von Racial Profiling (als direkt Betroffene*r oder als Zeug*in) sind zu finden unter: https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Studien/racial-profiling.pdf (am Schluss des Dokuments).
Dialogue wird unterstützt durch den Bereich OeME-Migration der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn und durch die Stiftung fondia.