
Zusammenfassung 8. Dialogue-Abend
Am 13. Oktober fand der achte Dialogue-Abend statt, lesen Sie hier unsere kurze Zusammenfassung
Dialogue-Abend vom 13. Oktober «Frau und Arbeit: Wie erreichen wir eine Gleichberechtigung im Arbeitsumfeld? » Mit Nina Prochazka und Anna Tanner.
Der Verein MULTIMONDO organisiert die Veranstaltungsreihe Dialogue, welche an mehreren Abenden Menschen mit unterschiedlichen Biografien dazu einlädt sozio-politische Themen zu diskutieren und sich auszutauschen. Nina Prochazka, Organisationsentwicklung, Coach und Expertin für Jobsharing und Arbeit 4.0, und Anna Tanner, Stadtratsmitglied und Sozialarbeiterin, waren unsere Gäste.
Im Verlaufe des Dialogue-Abends haben wir verschiedene Aspekte im Zusammenhang mit dem Thema des Abends angesprochen wie z.B. Lohngleichheit und weitere Forderungen des Frauenstreiks im Jahr 2019 und uns insbesondere auch mit dem Konzept «Jobsharing» und seinem Potenzial zur Erreichung der Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt auseinandergesetzt.
Sandra Joye, Co-Geschäftsleiterin und Leiterin für den Bereich Arbeitsintegration von Multimondo moderierte die Diskussion. Nach einer kurzen Vorstellung der beiden Gäste, Nina Prochazka und Anna Tanner sowie der Teilnehmenden und ihren Erwartungen für den Abend, legte sie mit ein paar Zahlen und Fakten zum Thema den Grundstein für die Diskussion. Bei der Gleichstellung von Mann und Frau liegt die Schweiz derzeit auf Rang 18. Obwohl die Gleichstellung der Geschlechter seit 1981 in der Verfassung verankert ist, sieht die Realität ganz anders aus. Im Jahr 2016 beträgt das mittlere Bruttomonatsgehalt für Männer CHF 6830, während es für Frauen CHF 6011 beträgt. Wie können wir diese Ungleichheit erklären? Laut Anna Tanner gibt es Diskriminierung, die bereits bei der Sozialisation beginnt. Mädchen werden in Aktivitäten ermutigt, die typisch «weiblichen» Werten (Solidarität, Einfühlungsvermögen usw.) entsprechen. So wird der Weg insbesondere für soziale Berufe geebnet, die im Durchschnitt weniger gut bezahlt sind, als typisch «männliche» Berufe. Ausserdem kümmern sich Frauen durchschnittlich auch mehr um unbezahlte «Care-Arbeit», also Kinderbetreuung, Haushalt, Pflege von kranken oder betagten Familienmitgliedern. Auch bei der Geburt eines Kindes, sind es eher Frauen als Männer, welche das Arbeitspensum reduzieren oder den Arbeitsmarkt gar für einige Zeit ganz verlassen. Teilzeitarbeit ist also bei Müttern mit Kindern im Alter von 0 bis 12 Jahren weiterverbreitet als bei Vätern mit Kindern in diesem Alter (59,6% im Vergleich zu 11,2% im Jahr 2017). Männer, die ihr Arbeitspensum reduzieren, machen dies häufiger aufgrund von Weiterbildungen, Frauen aus familiären Gründen.
Und was bedeutet es für eine Frau aber, nicht oder weniger zu arbeiten? Laut Nina Prochazka ist nicht Geld das zentrale Problem, sondern das wertvolle Erfahrungen nicht gewonnen und Fähigkeiten nicht weiterentwickelt werden. Mit einem immer dynamischer werdenden Arbeitsmarkt kann die Möglichkeit sich beruflich weiterzuentwickeln, bereits mit kleinen Auszeiten, erschwert werden. Es sei zentral, immer einen Fuss im Arbeitsmarkt zu behalten, dafür eignen sich auch Teilzeittätigkeiten. Auch Sandra Joye ergänzt, dass ein Praktikum, eine Teilzeit- oder Temporäranstellung zentral sind, um für den Arbeitsmarkt attraktiv zu bleiben oder zu werden. So ist dies eine Empfehlung, die für Mütter bei einem Wiedereinstieg ins Arbeitsleben genauso gilt wie für Personen aus der Migration, Personen über 50 Jahren oder Absolvent*innen auf Arbeitssuche.
Anna Tanner weist dabei noch auf ein wichtiges Phänomen hin: Intersektionalität. Intersektionalität bezeichnet die Mehrfachdiskriminierung, der einige Menschen ausgesetzt sind, sei es im Arbeitsumfeld oder im Alltag. Es kommt zu einer Überschneidung von verschiedenen Diskriminierungen wie z.B. der Diskriminierung als Frau und als Person aus der Migration. Auch Behinderungen und sexuelle Orientierung oder Identität sind Faktoren, die zu Diskriminierung führen können. Gerade bei Personen aus der Migration kommt bei der Arbeitssuche nebst sprachlichen Barrieren häufig dazu, dass Abschlüsse aus dem Ausland in der Schweiz nicht anerkannt werden. Und für Frauen, mit und ohne Migrationserfahrung, kann eine potentielle Schwangerschaft Grund genug sein, dass ein männlicher Mitbewerber bevorzugt wird.
Die am Frauenstreik vom 14. Juni 2019 gestellten Forderungen basieren auf ebendiesen Problematiken: finanzielle und gesellschaftliche Aufwertung der Arbeit von Frauen z.B. durch Lohnanalysen; mehr Zeit und Geld für Betreuungsarbeit z.B. durch Vaterschaftsurlaub/Elternzeit; Respekt statt Sexismus am Arbeitsplatz z.B. durch ausgebauten Kündigungsschutz bei Mutterschaft und Angehörigenpflege. Die Teilnehmenden des Dialogue-Abends waren sich einig, dass Veränderungen nötig sind, um Gleichstellung im Arbeitsumfeld zu erreichen, mit welchen Mitteln diese aber erreicht werden soll oder kann, wurde dennoch kritisch diskutiert. So merkte beispielsweise Nina Prochazka an, dass die Entschädigung für die Betreuungsarbeit ein System befeuern könnte, das die traditionelle Rollenverteilung festigt und Frauen in die Privatsphäre und Männer in die öffentliche Sphäre drängt. Einig waren sich die Teilnehmenden wiederum darin, dass Sensibilisierungs- und Bildungsarbeit dringend nötig ist und bereits bei der Erziehung von Mädchen und Jungen angefangen werden muss, um Gleichberechtigung, auch im Arbeitsumfeld, zu erreichen. Auch Arbeitgebende, so Anna Tanner, müssten zum Thema sensibilisiert und beispielsweise dazu ermutigt werden, klare Lohnsysteme einzuführen, nach dem Motto: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Obwohl umstritten, könnten auch Quoten in einem ersten Schritt hilfreich sein, um beispielsweise mehr Frauen in den höchsten Unternehmensebenen zu sehen.
Eine weitere Möglichkeit ist für Nina Prochazka «Jobsharing», wobei sich zwei oder mehr Personen eine Arbeitsstelle teilen. Das heisst, eine 100%-Stelle wird mit all ihren Aufgaben und Verantwortungen auf beispielsweise zwei Personen aufgeteilt. Die Aufteilung erfolgt je nach Bedürfnissen (50:50%, 40:60%, 30:70%, …). «Jobsharing» tauchte erstmals in den 1970er Jahren in den USA auf. Es ermöglicht Menschen, die gerne Teilzeit arbeiten möchten, den Zugang zu verantwortungsvollen Positionen, die häufig nur in Vollzeit zu besetzen sind. Auch gegen Diskriminierung bietet Jobsharing spannende Möglichkeiten. So können sich beispielsweise Berufserfahrene mit Berufseinsteigenden, eine Frau und ein Mann, eine Person mit und eine ohne Migrationserfahrung, Personen mit verschiedenen Sprachkenntnissen oder sonstigen sich ergänzenden Fähigkeiten eine Stelle teilen. Die Anforderungen an die einzelnen Personen werden somit etwas weniger hoch und gleichzeitig wird das Team diverser. Und Diversität bringt mehr Ideen und mehr Lösungen. Nina Prochazka berichtet, dass Jobsharing über alle Branchen und Positionen möglich und bereits umgesetzt wird. Wichtig ist dabei den*die richtige Stellenpartner*in zu finden und sich gleich als Team auf eine Stelle zu bewerben.
Der Dialogue-Abend zeigte einmal mehr eine komplexe Realität, mit der wir tagtäglich konfrontiert sind, bot aber auch konkrete Lösungsansätze und wichtige Reflektionen, nicht zuletzt in Bezug auf Vielfalt. Wenn wir etwas über Vielfalt lernen, wird es leichter, uns alle als ein kohärentes Ganzes zu erkennen.
Dialogue wird unterstützt durch die Stiftung fondia.