Multimondo

Zusammenfassung 9. Dialogue-Abend

Am 8. Dezember fand der neunte Dialogue-Abend statt, lesen Sie hier unsere kurze Zusammenfassung

Dialogue-Abend vom 8. Dezember «Politische Mitsprache ohne Schweizer Pass – welche Möglichkeiten gibt es? und reichen diese aus?» Mit Floride Ajvazi-Dirscherl und Tatiana Vieira.

Seit 2018, organisiert der Verein MULTIMONDO die Veranstaltungsreihe Dialogue, welche an mehreren Abenden Menschen mit unterschiedlichen Biografien dazu einlädt sozio-politische Themen zu diskutieren und sich auszutauschen. Am 8. Dezember 2020 waren Floride Ajvazi-Dirscherl, Projektleiterin, Partizipationsmotion/ Kompetenzzentrum Integration Stadt Bern und Tatiana Vieira, Co-Präsidentin des Vereins «Mitstimme» unsere Gäste.

Sylvia Joss, Moderatorin des Abends sowie Projektleiterin vom Forum Together, leitete die Diskussion mit einigen Hintergrundinformationen ein, die grundlegend für das Verständnis der Möglichkeiten der politischen Partizipation von Menschen ohne Schweizer Pass auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene sind. Auf Bundesebene haben Menschen ohne Schweizer Pass kein Stimm- und Wahlrecht, was zum Ausschluss von 33% der Bevölkerung führt. Auf kantonaler Ebene besitzt nur wer im Kanton Jura oder Neuenburg wohnhaft ist, auch ohne Schweizer Pass das Stimm- und das aktive Wahlrecht, jedoch nicht das passive Wahlrecht (Recht gewählt zu werden). Auf Gemeindeebene wiederum gewähren vier Kantone (Jura, Neuenburg, Waadt und Freiburg) das Stimm- und volle Wahlrecht. Genf gewährt das Stimm- und aktive Wahlrecht auf Gemeindeebene. Drei weitere Kantone (Graubünden, Appenzell Ausserroden und Basel-Stadt) kennen das fakultative Stimm- und Wahlrecht auf Gemeindeebene, d.h. die Gemeinden können entscheiden, ob sie Personen ohne Schweizer Pass das Stimm- und Wahlrecht gewähren.

Auch wenn es noch wenige Kantone und Gemeinden sind, die inklusivere Richtlinien für die politische Partizipation ihrer Einwohner*innen ohne Schweizer Pass haben, gab es in den letzten Jahren doch einige Bestrebungen in diese Richtung. So wurden an verschiedenen Orten Initiativen lanciert, die aber bisher an der Urne scheiterten. In Basel-Stadt wurde 2010 eine Initiative zur Einführung des Stimmrechts für Ausländerinnen und Ausländer abgelehnt, in Basel-Landschaft wurde 2017 die Initiative «Stimmrecht für Niedergelassene» abgelehnt. Die Stadt Zürich will das kommunale Ausländerstimmrecht einführen, in Bern wurde vor wenigen Wochen eine Initiative für das kommunale Stimm- und Wahlrechtrecht für Personen ohne Schweizer Pass mit 76 zu 68 Stimmen bei 3 Enthaltungen abgelehnt.

In einigen Kantonen und Gemeinden, in denen Menschen ohne Schweizer Pass nicht stimm- und wahlberechtigt sind, gibt es jedoch Alternativen für die politische Partizipation. Floride Ajvazi-Dirscherl und Tatiana Vieira stellten je ein Modell der politischen Partizipation in ihrer Stadt oder ihrem Kanton vor. Floride Ajvazi-Dirscherl präsentierte uns die Partizipationsmotion, die seit 2016 in der Stadt Bern in Kraft ist. Die Partizipationsmotion ermöglicht es Menschen ohne Schweizer Pass, sich mit einem konkreten Anliegen an den Stadtrat zu wenden und sich somit auf politischer Ebene einzubringen. Das Anliegen muss in den Zuständigkeitsbereich der Stadt fallen. Die Motion muss ausserdem von mindestens 200 volljährigen Personen ohne Schweizer Pass (mit Ausweis C, B oder F) unterzeichnet werden, die seit mindestens 3 Monaten in der Stadt Bern leben. Die Motion wird nach Eingang vom Ratssekretariat inhaltlich und formell geprüft. Daraufhin entscheidet das Büro des Stadtrats über die Gültigkeit und die Motion wird dem Gemeinderat zur Stellungnahme vorgelegt (Empfehlung zur Annahme oder Ablehnung). Bei der Beratung im Stadtrat kann der oder die Erstunterzeichner*in (oder eine Vertretung) die Motion vertreten und der Stadtrat entscheidet über eine Annahme oder Ablehnung. Wird die Motion angenommen, hat der Gemeinderat zwei Jahre Zeit für die Umsetzung.

Tatiana Vieira stellte uns den Verein «Mitstimme» vor, dessen Co-Präsidentin sie ist und der 2016 in Basel gegründet wurde. Der Verein hat zum Ziel, die politische Partizipation von Menschen ohne Stimm- und Wahlrecht zu fördern und organisiert dafür seit 2018 die Migrant*innensessionen. Menschen aus der Migration erarbeiten in Arbeitsgruppen verschiedenen Ideen oder Verbesserungsvorschläge zu gesellschaftlichen Themen, die dann an einer parlamentarischen Session (Migrant*innnensession) präsentiert werden. Im Vorfeld der Session werden verschiedene Weiterbildungen organisiert, während denen die Teilnehmenden einerseits das politische System in der Schweiz, ihre Rechte und Pflichten, sowie Handlungsmöglichkeiten näher kennenlernen und andererseits ihre Auftrittskompetenz trainieren. Während dem ganzen Prozess wird aktiv mit lokalen Politker*innen aus verschiedenen Parteien zusammengearbeitet. Sie sind an Sitzungen der Arbeitsgruppen dabei und debattieren mit, lernen die Teilnehmenden während einem Speed-Dating kennen und erfahren so aus erster Hand von den Ideen, Verbesserungsvorschläge und Anliegen der Menschen aus der Migration.

Tatiana Vieira betont, wie wichtig es ist, die Themen, die Menschen aus der Migration bewegen, sichtbar zu machen und für Menschen aus der Migration, zu wissen, wie sie ihre Anliegen darstellen und einbringen können.

Schweizweit gibt es weitere ähnliche Projekte, die die politische Partizipation ohne Schweizer Pass fördern. So gibt es im Kanton St. Gallen den Verein «Die Stimme der Migrantenvereine des Kantons St. Gallen», das Migrantenparlament im Kanton Luzern oder das Projekt «Unsere Stimmen», welches an verschiedenen Orten von NCBI (National Coalition Building Institute) initiiert und koordiniert wird. Dieses Projekt wird neu auch in Biel lanciert, in Zusammenarbeit mit der Stadt Biel und Nidau sowie MULTIMONDO.

Trotz der Ablehnung der Initiative für das Stimm- und Wahlrecht für Menschen ohne Schweizer Pass in Bern, geben die zwei Beispiele sowie weitere Projekte den Teilnehmenden des Dialogue-Abends Hoffnung. Sie sehen auch eine Chance im Vorfeld einer nächsten Abstimmung über dieses Thema noch enger mit den verschiedenen Gemeinden zusammenzuarbeiten und so das Anliegen breiter abzustützen. So kommen die Teilnehmenden zum Schluss, dass es wichtig ist, dieses Anliegen bald erneut vorzuschlagen, denn, wie Floride Ajvazi-Dirscherl sagte: «Steter Tropfen höhlt den Stein».

Dialogue wird unterstützt durch die Stiftung fondia.